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LOURDES,
SCHNITTPUNKT THEOLOGISCHEN RINGENS
Der
mariologische und marianische Kongress in Lourdes war der Höhepunkt aller Jubiläumsfeierlichkeiten.
Bezeichnend für den Geist und die Themenstellung dieses Kongresses waren die
Ausführungen des Kardinaldekans Eugene Tisserant (1884—1972), der von Pius XII.
als Kardinallegat nach Lourdes gesandt worden war: «Marienfrömmigkeit
und Marienwissenschaft gehen Hand in Hand ... Die Mariologie zeigt beispielhaft,
welchen Wert die Kirche dem Glaubenssinn des Volkes zuerkennt, wenn die virtuell
geoffenbarten Wahrheiten enthüllt werden sollen. Die Erhellung der Lehre von
Maria als Vermittlerin aller Gnaden, als geistige Mutter der Gläubigen und als
Gehilfin Jesu Christi im Erlösungswerk schreitet voran.» Der französische
Kardinal beschloss seine Ansprache mit der Zusicherung, dem Heiligen Vater den
Wunsch des Präsidenten der Marianischen Akademie vorzutragen, das Fest der
Sieben-Schmerzen-Mariä, das am Freitag der Passionswoche gefeiert wird,
umzuwandeln in das Fest «Maria, Gehilfin Christi im Erlösungswerk».
Hinter diesen
Worten verbirgt sich ein dramatisch drängendes Stück Geschichte. Zu Ende des
Mittelalters wies Bernhardin von Siena auf die große Bedeutung hin, die Maria
in der Ausspendung der Erlösungsgnaden besitzt. Petrus Canisius und Franz von
Sales sahen vor allem bei der Herabkunft des Heiligen Geistes Mariens Mittlertätigkeit
besonders anschaulich und wirksam dargestellt, so, dass sie sie Mittlerin der
Gnaden nannten. Alfons von Liguori und in noch stärkerem Maße Grignion von
Montfort verfochten mit großer Eindringlichkeit und einem eindruckweckenden
Aufgebot an Schrift- und Väterstellen diesen Titel Mariens. Sie sahen gerade in
der Tatsache, dass Maria bei der Menschwerdung Christi die ganze Menschheit
vertrat, dass sie ebenfalls auf Kalvaria als Vertreterin der Menschheit dort
stand, die Berechtigung des Titels Mariens, geistige Mutter der Gläubigen zu
sein und darum Mittlerin der Heilsgnaden, allerdings in völliger Abhängigkeit
von Christus, wie es Irenaus in der Parallele Christus-Maria dargelegt hat.
Leo XIII.
schien sich in seinen berühmten Rosenkranz-Enzykliken die Aufgabe gestellt zu
haben, diese Vermittlung Mariens jeweils an Hand der Rosenkranzgeheimnisse zu
veranschaulichen. Pius X. nahm die Fünfzigjahrfeier der Verkündigung des
Dogmas der Unbefleckten Empfängnis zum Anlass (Ad diem illum), zwei Dinge zu
unterstreichen:
1. Es gibt
keinen kürzeren, fruchtbareren und sicheren Weg zu Christus als durch Maria. 2.
Wie Christus uns alles aufgrund eines Rechtsanspruches (de condigno)
verdient hat, so Maria aufgrund eines Billigkeitsanspruches (de congruo). Sein
Nachfolger, Benedikt XV., nannte Maria in seiner Ansprache an die Bruderschaft
vom guten Tod die Mittlerin aller Gnaden und gestattete im Jahre 1921, auf bischöflichen
Antrag dieses Fest in Missale und Brevier für einzelne Diözesen einzuführen,
zur großen Freude vor allem des belgischen Kardinals Mercier, der sich mit dem
belgischen Episkopat mit besonderem Nachdruck für die Dogmatisierung eingesetzt
hatte. 1955 bestimmte allerdings Pius XII., dass künftig an dem dafür
vorgesehenen Tage (31. Mai) das Fest Maria Königin in der ganzen Kirche zu
feiern ist. Pius XI., der die marianische Auffassung von Grignion von Montfort
besonders schätzte, nannte in verschiedenen Enzykliken, vor allem in den
Herz-Jesu- und Marienenzykliken wie in seinen Ansprachen, so in der an die
Soldatenpilger von Lourdes, Maria die Vermittlerin aller Gnaden. Pius XII.
stellte sein Pontifikat, wie er in seiner Bulle anlässlich der Dogmatisierung
der Himmelfahrt Mariens ausdrücklich hervorhob, unter den Schutz Mariens und
bestimmte es zur besonderen Verherrlichung der Gottesmutter. Seine erste
Ansprache, die er nach seiner Wahl zum Papst an die Kardinäle richtete,
beschloss er mit der Feststellung, dass auch er sich der Auffassung des heiligen
Bernhard anschließe, dass Gott nicht wolle, dass uns ohne Maria eine Gnade
gegeben werde.
Sein
eigentliches Anliegen war die theologische Klärung des Begriffes der
Gnadenvermittlung Mariens. Sogar in seiner Lourdes-Ansprache greift er das Thema
der Gnadenvermittlung Marias auf und lehnt sich an den Gedanken des heiligen
Grignion von Montfort, der diese darin sah, dass sie das Reich Christi heraufführe:
«... damit durch dein mächtiges Dazwischentreten und deinen bleibenden
Beistand endlich das Reich Christi gefestigt werde.» Worin besteht also die
Vermittlung Mariens in ihrer unauflöslichen Gemeinschaft mit Christus sowohl
durch die Menschwerdung Christi wie durch die Teilnahme an der Erlösung? In der
Macht ihrer Fürsprache, die sich auf das Kommen des Reiches ihres Sohnes
bezieht, vor allem, wie Pius XII. in seiner Lourdes-Ansprache darlegt, in
Glaube, Hoffnung und Liebe, in der Gemeinschaft mit der Kirche!
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