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Appell des Herzens Jesu
Es war für die Kirche eine geschichtlich bedeutsame Stunde, als der
hl. Franz von Sales dem neu gegründeten Orden der Heimsuchung Mariens einige
Jahre vor dem Ausbruch des verhängnisvollen Dreißigjährigen Krieges als
Wappen ein Herz gab, das von Dornen umrankt, das inmitten lodernder Flammen ein
Kreuz trägt. Damit gab er eindeutig zu erkennen, dass die Sendung seines Ordens
die Nachahmung des göttlichen
Herzens sein sollte. Damit wurde die Heimsuchung die von Gott auserwählte Trägerin
der Offenbarungen und Verheißungen, die das göttliche Herz Jesu der Kirche und
der ganzen Welt vermitteln wollte.
Dieses
Wappen leitet eine neue Ära der Kirchengeschichte ein, obwohl sich Franz von
Sales der Tragweite nicht bewusst war. Denn zielsicher breitete Gott in der
Kraft und in der Sinngebung dieses Wappens den Orden vor, zu gegebener Stunde
die Offenbarung des Herzens seines Sohnes gläubig aufzunehmen. Es dauerte
allerdings ein gutes Menschenalter, ehe das göttliche Herz seine Pläne
verwirklichen wollte, ehe es sich am Fronleichnamsfest des Jahres 1673 der
stillen, zurückgezogenen Novizin Margareta Maria Alacoque zeigte.
So
ist durch die Entwicklung der Orden der Heimsuchung praktisch die Wiege der
modernen Herz-Jesu-Verehrung geworden. Wer rückwärts schaut, kann nur mit
Staunen und Dankbarkeit die außerordentliche Segenskraft anerkennen, die von
dieser Herz-Jesu-Verehrung für die Kirche, für die Familie und für die
Einzelpersönlichkeit ausgegangen ist.
Im
tiefsten Grunde handelt es sich bei der Herz-Jesu-Verehrung um eine neue, aber
intensivere Art der Zuwendung des göttlichen Lebens an die Gläubigen. Weil die
Gnadenfülle des göttlichen Herzens so überwältigend ist, muss naturgemäß
das Ideal, das der Gläubige zu verwirklichen hat, auch um so höher gestellt
werden. Darum hat gerade die wirkliche Herz-Jesu-Verehrung der Kirche eine Elite
Vollblutgläubiger geschenkt, die ganz aus der Gnadenwelt dieses Herzens geben,
opfern und arbeiten.
Die Forderungen des göttlichen Herzens
Im
Wesentlichen sind es drei Forderungen, die das göttliche Herz Jesu an seine
Getreuen stellt:
1.
Glaube an die Liebe des göttlichen Herzens.
Judas hat darin versagt. Nicht das war seine größte Sünde, dass er den Herrn
verriet, sondern dass er nicht an die verzeihende Güte dessen glaubte, der ihn
noch bei der Gefangennahme im Ölgarten „Freund“ nannte. Auch Kain hat in
diesem Glauben an die vergebende Liebe Gottes versagt. „Meine Sünde ist zu
groß, als dass ich Verzeihung erlangen könnte.“ So war auch seine größte
Schuld nicht, dass er seinen Bruder ruchlos erschlug, sondern dass er die
verzeihende Hand Gottes abwies, weil er nicht an die Barmherzigkeit Gottes
glauben konnte.
Das
scheint auch die eigentliche Sünde unserer Tage zu sein: nicht zu glauben an
die Liebe Gottes. Wie kann Gott so viel Elend, Hunger, Heimatlosigkeit und
Unrecht zulassen, wenn er wirklich das Herz eines Vaters hat? An dieser Frage
scheitern Millionen. Sie wollen nicht die Antwort annehmen, die Gott selbst in
der Offenbarung des Alten und Neuen Bundes gibt: „Gerade wen der Herr liebt,
den züchtigt er.“ Wen hat er mehr lieb als seinen Sohn, den Einzigen, den
Teuersten, den Schuldlosen? Und doch schlug er ihn mehr als je einen Menschen,
grausamer als den treuen Job, blutiger als die sieben Makkabäischen Brüder, härter
als Loth, dem er Haus und Besitz verbrennen ließ. Aber dieser Sohn sagte dem
Vater nicht sein Vertrauen auf, sondern beschloss sein leidvolles Leben mit dem
innigen Gebet kindlich-rührenden Vertrauens: „Vater, in deine Hände empfehle
ich meinen Geist.“ Als Auferstandener jubelte er über jede Minute, die er
gelitten, über jeden Schlag, der
seinen Leib aufgerissen. „Musste nicht Christus dies alles leiden, um so in
seine Herrlichkeit einzugehen?“ (Lk 24,26)
Franz
von Sales hat sich darum bei seinen zahlreichen Prüfungen und Widerwärtigkeiten,
in all den Verleumdungen und Schikanen durch die Landesregierung, die er zu
erdulden hatte, stets an dieses herrliche Lebensbeispiel des göttlichen Herzens
geklammert. Er schaute auf die Vaterhand, die prüft, nicht auf die Hand des
Richters, der straft.
2. Sei zu
jedem Opfer bereit! Lautet
die zweite Forderung des göttlichen Herzens. „Nur die Liebe ist die wahre
Liebe, die gekreuzigt ist,“ wusste eine deutsche Heilige als schönste
Gnadengewissheit zu künden. Im tiefsten Grunde ist dieses Wort eine persönlich
gehaltene Übersetzung jenes herrlichen Heilandswortes: „Eine größere Liebe
hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ Somit ist das
Grundgesetz der echten Christusliebe nichts anderes als das klare und mutige
Bekenntnis zum Kreuze: „Wer liebt, muss leiden.“
Es
ist darum eine auffallende Tatsache, dass die Menschen, die eine besondere
Verehrung zum göttlichen Herzen haben, zugleich die größten Kreuzträger
sind. Es scheint, als ob diese Gläubigen, ja diese Familien und Gemeinschaften,
die sich dem Herzen Jesu geweiht haben, mit allen drei Kreuzen von Kalvaria
beladen würden. Sogar die Staaten, die die offizielle Weihe an das Herz Jesu
vollzogen haben, müssen für diese eigenartige Tatsache zeugen. Alfons XIII.
von Spanien weihte als Erster nach dem Weltkrieg sein Land feierlich dem göttlichen
Herzen und ließ das berühmte Herz-Jesu-Monument in Madrid errichten. Welcher König
hat mehr Unglück in seiner Familie und in seinem persönlichen Leben gehabt als
der Letzte der spanischen Bourbonen? Welches Land hat einen grausameren Bürgerkrieg
erlebt als Spanien? Welches Jahrhundert hat in vier Jahrzehnten mehr Blut vergießen,
größeres Elend hereinbrechen sehen als das Zwanzigste?
Aber
das große Rätsel dieser Leidensfügungen des göttlichen Herzens ist die
Tatsache, dass diese Prüfungen und Widerwärtigkeiten nicht in dumpfer
Verzweiflung oder bitterem Hader getragen werden, sondern mit tapferer Ergebung,
sogar mit geheimnisvoller Freude, weil diese Gläubigen, die das heiligste Kreuz
verehren, eine neue Kraft in ihrer Seele strömen fühlen, sodass sie mit dem
leidgeprüften Apostel Paulus sogar froh bekennen: „Ich vermag alles in dem,
der mich stärkt,“ und mit Franz von Sales lieben sie es mehr, beim
gekreuzigten Erlöser zu sein als beim verklärten.
3. Lebe
im Geiste der Sühne! Lautet
die dritte Forderung des Herzens Jesu. Gerade diese ist der eigentliche
Wesenszug der modernen Herz-Jesu-Verehrung geworden. Seit der Enzyklika Pius XI.
vom Fest der Kreuzauffindung 1932 über die Sühne an das Kreuz Jesu ist die Sühne
das eigentliche Ziel der Herz-Jesu-Verehrung unserer Zeit geworden. Je größer
die Schuld unserer Tage wird, desto dringender, ja beängstigender der Ruf des
Papstes nach Seelen, die sich als Sühneopfer anbieten sollen. Denn „es gibt
keine Sündenvergebung ohne Blutvergießen“,
betont der heilige Paulus. Darum bietet er sich selbst an und ergänzt an
seinem Leibe, was dem Leiden Christi nach des Vaters Weisung noch mangeln
sollte.
Von
diesem Gedanken durchdrungen, baut Frankreich nach dem verlorenen Krieg 1870/71,
nach der sakrilegischen Barrikadenrevolution der Kommune, eine Sühnebasilika zu
Ehren des göttlichen Herzens Jesu; aber bezeichnenderweise in einem Viertel,
das am meisten Gottes Gerechtigkeit herausfordert, am Montmartre. Wie viele
hochherzige Menschen, wie viele ideal gesinnte Herzen haben sich in heiligem
Heroismus dem göttlichen Herzen als Sühne angeboten, weil sie jenes
Schriftwort nicht vergessen konnten, das uns der hl. Johannes überliefert hat:
„ES ist besser, dass ein Mensch sterbe, als dass ein ganzes Volk zugrunde
gehe.“ Wie viel Leid, Not, Verleumdung und Zurücksetzung haben diese auf sich
genommen, damit wir selbst immer wieder Gottes Barmherzigkeit erfahren können.
Gerade in dem Jammer unserer Tage, in der Verzweiflung unseres rationierten
Hungers reifen nicht wenige Menschen, sogar Kinder zur Kreuzeshöhe opfernden Sühnens.
Die Verheißungen
Gar mancher wird erschrecken, wenn er diese Forderungen des göttlichen
Herzens liest. Doch wer mutig diesem Herzen sich verpflichtet hat, erlebt die
beglückende und befreiende Wahrheit, dass er zugleich den ganzen Strom der
Verheißungen in seine Seele dringen fühlt. Neuer Glaube, neues Hoffen, neues
Lieben und neues Dulden erwacht in seinem Herzen. Sichtbar verwirklicht sich der
verheißene Schutz des göttlichen Herzens. Eine unwiderstehliche Macht geht von
ihm auf die in der Sünde erstarrten Seelen aus. Die Andacht der ersten
Feiertage zieht bereits vor dem Tode den Frieden der ewigen Seligkeit in das
Herz. Sogar das Leid und die Prüfungen scheinen nur die Geburtswehen einer
neuen Geborgenheit und einer neuen Heilandsnähe zu sein. Wie Christus muss auch
der Christ durch das Dunkel des Karfreitags, um zum verklärten Licht des
Ostermorgens zu gelangen.
Das
Unterpfand dieser Segnungen und der Opferkraft des göttlichen Herzens ist die
heilige Hostie, durch die uns wirklich und wesenhaft das Blut und das Wasser des
geöffneten Herzens zufließt. Das eucharistische Herz Jesu ist darum das
Zeichen, in dem auch in unseren Tagen die Kirche und der Einzelne opfernd und sühnend
siegen wird über jegliche Macht und Gewalt, über Hunger und Leid, über Sünde
und Hoffnungslosigkeit.
Die
ganze Tiefe und den ganzen Reichtum dieses Herzens zu ergründen, ist nur dem
Heiligen Geist gegeben, der es gestaltet hat. Doch die ganze Kraft und die ganze
Gnadenfülle dieses Herzens uns zuzuwenden, hat der Vater der Fürbitte
derjenigen anvertraut, aus deren unbeflecktem Herzen das Herz des göttlichen
Sohnes gebildet wurde, deren Herz aber auch als Erstes auf Erden die ganze Macht
dieses Gottesherzens erfahren hat. Sie wird in unserer Zeit mehr denn je Seelen
erwecken, die das herrliche Wort der Epistel am Herz-Jesu-Fest zum Bekenntnis
ihres Wollens und Wirkens machen: „Keine Macht der Gegenwart oder Zukunft wird
uns trennen von der Liebe Gottes und Jesus Christus.“ In unentwegtem Glauben
an die Liebe des göttlichen Herzens bieten sie zur letzten Opfertat sich an,
nach dem Wort des hl. Paulus: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir,
so sterben wir dem Herrn.“
Dieser Aufsatz von Pater Hubert Pauels erschien in der
Zeitschrift „Licht“ in der Nummer 6 im Jahre 1948 und wurde für das
Internet abgeschrieben.
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