|
Ich glaube an das ewige
Leben
Der katholische Mensch ist wesentlich Jenseitsmensch. Als er
wiedergeboren wurde im lebensspendenden Wasser der Taufe, gab er das Bürgerrecht
der Fremde dem Fürsten dieser Welt zurück und erwarb wiederum das Recht, in
das Land seiner Stammeseltern, in das Gnadenparadies des Gottessohnes zurückzukehren.
Seit der Stunde der heiligen Taufe wohnt ihm der Drang nach dem Reiche des
Lichtes da droben im Blut. Er fühlt sich nur zu sehr auf dieser Erde als
verlorener Sohn, auf den der Vater Tag um Tag wartet. Dieses Heimweh nach dem,
der uns in der Taufe in intimster Weise Vater geworden, ist doch die
geheimnisvolle Wunde, die uns Gott in dem Augenblick schlug, da er uns als seine
Kinder aufnahm und uns darum den Geist seines liebsten Kindes gab, das unablässig
nach seinem Vater verlangt, den Geist Jesu, der da ruft: Abba, Vater.
Es
klingt uns darum bis zur Stunde wie ein Stück bitteren, blutgetränkten dämonischen
Traumes, was vor einigen Jahrzehnten der Sozialistenführer Bebel den Arbeitern
zurief: „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.“ Bis zur
Stunde bleibt es aber das Zeugnis des ehrlichen, gläubigen, leiderprobten
Christen: ohne die Hoffnung auf den Himmel hätten wir die grausamen Enttäuschungen
des Erdenparadieses und die Hölle so vieler Blutjahre nicht überlebt. Wer
wollte heute nach dem Urteilspropheten von Zürich, dem Großmeister der
Antichristlogik, Nietzsche, beipflichten, der den Sterblichen zuruft: Bleibt
doch der Erde treu!“? Das gewaltige Totenheer der 32 Millionen Kriegsopfer ist
das bittere Amen dieses Erdengebetes.
Es
ist allerdings wahr, dass der Maulwurf der geborene Feind der Sonne ist; dass er
die Seligkeit des Lichtes niemals erfassen und erleben kann. So ist es auch unmöglich,
dass solche, die noch im Banne der Teufelsmacht der Sünde stehen, die Bedürfnisse
und Lebensnotwendigkeiten der Gotteskinder, die in der Taufe die Geistaugen des
Lichtes erhalten, auch nur ahnen können. Letzten Endes offenbart sich gerade in
der Jenseitseinstellung am schönsten die unüberbrückbare Gegensätzlichkeit
des Glaubens und des Unglaubens. Für uns besteht jedoch in unserer Zeit mehr
denn je die Aufgabe, durch den unbedingten Glauben an das Jenseits den Ungeist
der Erdverkrampfung zu überwinden.
Himmel
Wie die Erde sich nach der Sonne, so orientieren wir unser Leben, unser
Denken und Handeln nach den Gesetzen des Jenseits. Wir glauben an die dreifache
Jenseitsordnung: Himmel, Fegfeuer, Hölle. Darum orientieren wir uns zunächst
nach dem Himmel. Nur der hat für diesen Glücksort ein skeptisches Lächeln,
der nie eine Taborstunde des rechten Gotteserlebnisses gehabt. Wie kann der dem
Worte des Völkerapostels zustimmen: „Ich verlange aufgelöst und bei Christus
zu sein,“ der es nie erfahren, dass Christus sein Leben ist? Wer in der
Schlichtheit und Kindlichkeit eines gläubigen Gemütes sich Gott erschließt,
erlebt mit unfehlbarer Gewissheit die beseligende Gottesnähe und das beglückende
Licht der Gotteserkenntnis. Wer einmal die Köstlichkeit des gnadenhaften
Liebens von Gott und Mensch erlebt, misst die Erde mit anderen Maßstäben. Für
ihn ist die Sonne dunkel wie einst für Bernadette von Lourdes; nachdem sie
einmal das wunderbare Leuchten der Gottesmutter gesehen; hatte sie kein Auge
mehr für das Licht der Gestirne.
Wer nie Mutterliebe gefühlt, kennt nicht das Heimweh des Kindes. Nie
wird darum ein Mensch das Heimweh eines gläubigen Herzens verstehen, wer nie
Gottes Vaterliebe in seine Seele einströmen ließ, weil er es durch Unglauben
verschloss.
Was
fragen wir noch nach wissenschaftlichen Beweisen des Jenseits? Sie können
allerdings nie außer Kraft gesetzt werden. Die tägliche Erfahrung lehrt uns
aber deutlich genug den ungestillten Hunger des Herzens nach Glück, den
gellenden Notschrei nach Gerechtigkeit, die hoffnungslose Enttäuschung über
jene, auf deren Treue und Charakterfestigkeit wir Ewigkeiten gebaut hätten.
Sagt uns schon ein Blick auf die Straße, dass es auf Erden nichts Vollkommenes
gibt. Gewissen und hausbackener Sinn für die Wirklichkeit lassen sich nie von
Tagesparolen verblüffen; nur zu deutlich hat Gott auf dieser Erde die
Marschroute eingezeichnet.
Wenn
auch Vernunft und Erfahrung klar für das Jenseits zeugen, so haben wir gläubige
Menschen doch ein besseres und solideres Zeugnis: Die Stimme des Geistes, den
wir in der Taufe empfangen, das Heimweh der Seele, das nach dem Vater im Himmel,
nach einem grenzenlosen Taborglück ruft: Jeder kann es mit Paulus, dem
Konvertiten von Damaskus, bezeugen: „Der Geist bringt es unserem Geist zum
Bewusstsein, dass wir Kinder Gottes sind; kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört,
es ist in keines Menschen Herz gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn
lieben.“
Darum
sind auch wir wie dieser Leiderprobte, viel Gelästerte und stets Verfolgte der
festen Überzeugung, dass „die Leiden unserer Zeit nicht zu vergleichen sind
mit der Herrlichkeit, die uns eines
Tages offenbar wird.“
Wer
wird es uns Gläubigen des 20. Jahrhunderts übel nehmen, dass wir gerade
inmitten der Trümmerhaufen unserer Städte, auf den riesigen Schlachtfeldern
unseres Erdteils doppelt innig und froh beten: „Ich glaube an das ewige
Leben“; dass wir in dem Glauben an die Auferstehung der Toten auf das nie
endende Wiedersehen im Himmel harren?
Fegfeuer
Wir
orientieren unser Leben nach dem Fegfeuer. Wer auch nur einen schwachen Begriff
von der absoluten Lichthelle und alles erfassenden Heiligkeit Gottes hat, schließt
sich überzeugt der Auffassung der heiligen Schrift an, dass nichts Unreines in
Gottes Reich eingehen kann; selbst der Gerechte noch Schatten und Flecken hat,
die vor Gottes Licht nicht bestehen können.
Wir
danken mit Franz von Sales Gott dafür, dass es uns wegen dieser peinlichen Schwächen
nicht eine ganze Ewigkeit von sich stoßen wollte, sondern uns einen Ort gab, wo
wir nach dem Tode noch gereinigt werden können. Noch mehr danken wir Gott, dass
er uns die Macht gab, unseren lieben an diesem Orte durch unser Leben und
Opfern, durch unser gnadenbelebtes Wirken und Lieben, durch Sakramente, Opfer
und Ablass beizustehen.
Nicht weniger Dank wissen wir Gott mit dem Kirchenlehrer Franz von
Sales , der so tiefsinnig und lichtvoll über das Läuterungsfeuer geschrieben,
für sein Erbarmen, dass wir bereits auf dieser Erde unsere Seele läutern können,
zur Lichthelle der Ewigkeit durch Geduld, Selbstverzicht und täglich wachsende
Liebe. Gott ist uns im 20. Jahrhundert gut, der durch die Not der
Vernichtungsangriffe, durch den Schmerz der Trennung und Evakuierung, durch die
grausame Vereinsamung der Gefangenenlager und die bittere Heimatlosigkeit der
Vertriebenen so manche Unvollkommenheit läuterte, so manche geheime und offene
Schuld sühnte, so manche Gnadenknospe zur herrlichen Entfaltung brachte. Denn
am Kreuz wuchs die Liebe des Gottessohnes zur blühenden Rose des Martyriums.
Auch in der drückenden Not unserer Tage bezeugen wir, von Gottes Geist
erleuchtet, dass der Herr züchtigt, wen er lieb hat, - allerdings nicht um zu töten,
sondern um mit der Kraft des Auferstandenen zu beleben.
Hölle
Wir orientieren unser Leben schließlich
mit nicht geringer Konsequenz nach der Hölle. Wir verstehen sehr wohl die
zynische Ablehnung des ewigen Strafortes in unserer Zeit. Gar mancher muss die Hölle
leugnen, weil er sonst zur Erkenntnis käme, dass er auf bestem Wege zu diesem
Ort ewiger Verwerfung ist. Ohne Ängste denken wir gläubigen Gotteskinder an
diesen entsetzlichen Schmerzensort. Denn wir haben die Macht erhalten,
Gotteskinder nicht nur zu werden, sondern auch zu bleiben. Dazu gab uns der
himmlische Vater die Erkenntnis, dass nicht verloren geht, wer sich in die
Seitenwunde seines gekreuzigten Sohnes flüchtet; dass gleich der verlorenen
Drachme gefunden wird, wer an die fürbittende Allmacht der Mutter
der Barmherzigkeit glaubt, um für immer in dem Goldschatz ihres
unbefleckten Herzens bewahrt zu werden; dass jedes Gotteskind in der heiligen
Hostie jene Kraft erhält; in der es wie Paulus alles vermag, sodass weder Tod
noch Teufel, weder Hunger noch Blöße, weder Schwert noch innere Qual
es zu trennen vermag von der Liebe Gottes, die es gefunden in dem
geheimnisvollen Blut des göttlichen Herzens.
Trotzdem
lässt Gott in seiner Weisheit und Liebe zu, dass der Gedanke an die Hölle
selbst für die heiligmäßigen Seelen in mancher Stunde eine heilsame Stütze
sein muss, damit sie nie wie Luzifer in der Wonne der Gotteserkenntnis nach der
Krone des Schöpfers greifen, sondern in schlichter Demut und im Bewusstsein völliger
Abhängigkeit von der Gnade die Erhöhung der vollkommenen Gottesliebe erlangen.
Jeder Mensch erlebt seine Ölbergstunde, wo er durch das Gaukelspiel
und Blendwerk dämonischer Mächte vor dem Weg harter Selbstverleugnung zurückbebt
und fleht: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Die wild
aufflackernde Glut sündigen Begehrens, das ohnmächtige Aufbäumen des Herzens
unter der niederschmetternden Faust des Leides wirft den Menschen aus seinem
inneren Gleichgewicht. Die Sonne der Gottesliebe verfinstert sich: Nur noch die
unheimliche Angst vor dem Sturz in den Abgrund bleibt. Dann schreit der leidgequälte
Mensch auf aus Entsetzen vor der ewigen Verwerfung und Gottverlassenheit, bis
das Gewölk zerreißt und Gottes lächelnde Güte erstrahlt und dem wehen Herzen
wärmendes Vertrauen schenkt. Solche Stunden erlebte Katharina von Siena wie
Theresia von Avila, Benedikt wie Franz von Assisi. Solche Stunden sind wie Blätter
am Weinstock, um die köstliche Gnadenrebe vor der versengenden Glut der sündigen
Leidenschaft wie vor dem ertötenden Froste selbstgefälliger und selbstsüchtiger
Hartherzigkeit zu schützen; sind wie die Tropfen Wassers, die der Priester dem
Wein beimischt, um ihn beim heiligen Opfer verwandeln zu können.
Himmel
Fegfeuer, Hölle: Das ist die geheimnisvolle Dreiheit des Jenseits, die unserem
Leben Ziel und Richtung gibt. Nicht spannen wir uns in den engen Rahmen des
Diesseits ein. Denn unser Herz ist zu unruhig, dass es sich durch das launische
Wechselspiel des Werdens und Vergehens beruhigen lassen könnte. Wir wissen nur
zu gut, dass im engen Kreise sich der Geist verengt, dass wir darum nicht von
den Diesseitsmenschen die Weite der Himmelskinder erwarten dürfen. Wir können
ihnen allerdings keinen Vorwurf machen, solange wir selbst nicht lebendige
Ewigkeit sind, d.h., solange wir noch die Enge irdischen Denkens, Planens und
Erfassens zeigen.
Mit
der Taufe wurden wir wesentlich aus der Begrenztheit der Erde herausgehoben und
zugleich wurde uns die Unendlichkeit als Taufgeschenk von Gott gegeben: die
Unermesslichkeit des Glaubens, Hoffens und Liebens, die Unendlichkeit des
Gottesherzens. In uns wollte von jener Stunde an ein anderer sein Leben wiederum
leben: Christus, der, aus der Ewigkeit kommend, diese Lebenskraft zur Ewigkeit führen
will.
In
uns sollte sich jenes Wundergeheimnis der Gottesmutter verwirklichen: nach außen
Maria, nach innen Jesus. Unmöglich ist das in unserem Jahrhundert ebenso wenig
wie in der Zeit des hl. Franz von Sales; er erschien nach dem Zeugnis der hl.
Johanna Franziska von Chantal und des hl. Vinzenz von Paul wie ein Transparent
Christi, sodass man glaubte, in ihm Christus wiederum über die Erde wandeln zu
sehen. Möge diese Lebensaufgabe von uns so gelöst werden wie von ihm: dass wir
wie er der Überzeugung sind, dieses Leben wurde uns nur gegeben, um dadurch das
ewige zu erlangen. In der Todesstunde werden wir dann ebenso wenig wie die hl.
Theresia von Lissieux bereuen, unser Leben der Liebe des ewigen Gottes geweiht
zu haben.
Der Aufsatz von Pater Hubert Pauels erschien in der
Zeitschrift „Licht“ in der Nummer 11 im Jahre 1948 und wurde für das
Internet abgeschrieben.
|